Aus der Offenbach Post:
Kickers nach 1:1 gegen den Tabellenletzten und als schlechteste Rückrundenmannschaft durch Mokhtaris Tor gerettet
Von Jochen K o c h
Offenbach – Rot-weiße Glückseligkeit auf dem Bieberer Berg. In einem an Dramatik kaum zu überbietenden Zitterspiel sicherten sich die Kickers gestern im letzten Saisonspiel gerade so den Klassenerhalt. Obwohl die Offenbacher nicht einmal das Minimalziel, nämlich einen Sieg gegen den Tabellenletzten Eintracht Braunschweig schafften, jubelten um 15.47 Uhr nach dem 1:1 fast alle der 16 267 Zuschauer auf dem Bieberer Berg. Denn die Konkurrenten hatten für die Kickers gespielt.
Durch die Niederlagen von Essen und Unterhaching bei den Aufsteigern Hansa Rostock und MSV Duisburg reichte den Kickers ein mickriges Pünktchen zum Klassenerhalt. Der schlechtesten Rückrundenmannschaft (nur 14 Punkte, ganze acht in den letzten 15 Spielen!), die seit Februar von Platz sechs bis auf einen Abstiegsplatz gestürzt war, genügten magere 36 Punkte für ein drittes Jahr in der 2. Liga. So wenig wie noch nie seit Einführung der Drei-Punkte-Regel 1995/96. Aber: Lieber mit 36 Punkten schlecht drin geblieben, als mit 41 Punkten gut abgestiegen, wie Dynamo Dresden letzte Saison.
„Unfassbar“ schüttelte der sichtlich mitgenommene Vizepräsident Thomas Kalt nach der glücklichen Rettung den Kopf. „Wir sind mit einer Menge Glück aus dieser verkorksten Saison herausgekommen“, sagte Kalt und bezeichnete die Rückrunde als „Horrorerlebnis.“
Die 90 Minuten waren ein Spiegelbild der Saison. Die Kickers begannen forsch, setzten Braunschweig 15 Minuten unter Druck, aber ohne Tor verloren sie schnell den Faden. Die Anspannung, Nervosität war bis auf den letzten Rang unter der Tribüne spürbar. Trainer Wolfgang Frank hatte Geduld verlangt, vor den Braunschweigern gewarnt. Die Hoffnung auf Schützenhilfe war größer als das Vertrauen in die eigene Stärke. Kein Wunder, nach den Ergebnissen der letzten Wochen. Frank wollte jedes Risiko vermeiden, wechselte schon zur Pause den sehr agilen aber auch aggressiven und Gelb-rot gefährdeten Stephan Sieger aus. Die Enttäuschung zur Pause über die Zurückhaltung der Offenbacher wandelte sich nach den Zwischenständen in Euphorie. Als dann auch noch Oualid Mokhtari per Kopf nach Freistoß von Thorsten Judt – der bald 36-Jährige lieferte seine zehnte Torvorlage – das 1:0 gegen einen schwachen Torwart Stuckmann köpfte, war die Rettung nahe. Mokhtaris Pfostenschuss (75.) sorgte für eine trügerische Sicherheit. Aber die Kickers blieben auch im 18. Spiel in Folge hintereinander nicht ohne Gegentor. Nach Atems 1:1 (83.) herrschte nur noch blankes Entsetzen: Ein weiteres Tor wäre der Abstieg gewesen. Aber Braunschweig war gar nicht auf einen Sieg aus, spielte nur noch quer und genehmigte den Kickers eine weitere Saison in der 2. Liga. In der Kabine herrschte grenzenloser Jubel und riesige Erleichterung. „Ich war fix und fertig, habe geweint wie ein kleines Kind, dass wir es geschafft haben, macht mich so glücklich“, stammelte Suat Türker. Auch Finanzmanager Jörg Hambückers kam mit Tränen in den Augen aus der Kabine. „Diese Anspannung war unfassbar.“
Natürlich wurde dann gefeiert. Der Klassenerhalt, aber auch Abschied. Jeder weiß, dass diese Mannschaft so nicht mehr weiter bestehen kann. Dringende Umbauarbeiten sind nicht nur beim Stadionprojekt – für das die Stadt Offenbach mit dem Grundstück ihren Beitrag leisten will – sondern auch in der Mannschaft nötig. Die Spieler haben sich heute früh um vier Uhr („Bis dahin wird durchgefeiert“) für drei Tage nach Mallorca verabschiedet. Etwas später trifft sich das Präsidium zur großen Saisonanalyse. Aber selbst dabei gibt es schon wieder Probleme. Denn Trainer Frank („Die zweite Saison ist nie einfach und ein paar Dinge sind bei uns unglücklich gelaufen“) war offenbar überrascht, dass er heute einbestellt wurde („Ich dachte, wir besprechen unsere Angelegenheiten am Dienstag oder Mittwoch.“), so dass das Treffen aus Termingründen vielleicht gar nicht zu Stande kommt.
Doch der Tanz auf der Rasierklinge hat die OFC-Verantwortlichen so geschockt, dass sie jetzt sofort Handlungsbedarf sehen. Aber Schnellschüsse wird es ebenso wenig geben, wie eine neue sportliche Leitung. „Wolfgang Frank und Michael Dämgen werden auch nächste Saison bei uns arbeiten“, sprach kalt dem Trainer und Sportmanager das Vertrauen aus. Aber mit Sicherheit müssen sie dann erfolgreicher arbeiten. Was nach dieser Saison nicht schwer fallen dürfte. „Wir versuchen, einige Dinge besser zu machen“, versprach Frank. Bei der Zielsetzung für die dritte Zweitligasaison wagte Frank dann gestern Abend schon wieder einen Spaß: „Man muss frech sein: Im dritten Jahr steigt man meistens auf.“ Aber das war dann wirklich als Spaß zu verstehen.
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