Aus der Frankfurter Rundschau:
Mimik und Gestik sagten mehr als tausend Worte. Als Jörn Andersen am Sonntagnachmittag gegen 15.52 Uhr den Rasen im Stadion am Bieberer Berg verließ, hob er triumphierend die Faust, und im Gesicht des Trainers der Offenbacher Kickers waren die Spuren der emotionalen Achterbahnfahrt deutlich zu sehen. 4:3 (1:2) hatte der OFC das so wichtige Spiel der Zweiten Fußball-Bundesliga gegen den FC St. Pauli gewonnen und dabei einen 1:3-Rückstand aufgeholt. Selbst später, als Andersens Puls wieder normale Frequenzen erreicht hatte, wirkte das zuvor Erlebte noch nach. „Das war ein geiler Sieg“, begann der 45 Jahre alte Norweger sein Statement bei der Pressekonferenz, „So etwas habe ich lange nicht mehr erlebt.“
In der Tat hatte seine Mannschaft ihm und den Fans einen denkwürdigen Fußballnachmittag beschert. Nachdem der zu Beginn stürmische OFC bereits zur Pause durch die Hamburger Treffer von Rene Schnitzler (31.) und Fabio Morena (40.) beim zwischenzeitlichen Ausgleich von Moses Sichone (32.) mit 1:2 zurückgelegen hatte, schien die Partie nach dem 3:1 für die Gäste durch Filip Trojan (46.) eigentlich schon verloren. „Wir waren mausetot“, gab OFC-Kapitän Thorsten Judt später zu, und auch der stets optimistische Andersen hatte zu diesem Zeitpunkt „eigentlich gedacht: Das Spiel ist vorbei“.
Doch die Offenbacher waren an diesem Tag beseelt von dem Willen, Punkte zu holen. „Wir haben immer weitergemacht“, sagte Innenverteidiger Sichone. Hilfreich war den Gastgebern die Rote Karte für St. Paulis Stürmer Alexander Ludwig, der sich kurz nach dem 3:1 einen derben Tritt gegen Sichone geleistet und diesem eine Platzwunde am rechten Schienbein und eine Knieprellung zugefügt hatte (55.). „Das war der Knackpunkt“, bekannte Gäste-Coach André Trulsen hinterher. Offenbach bekam die zweite Luft, während St. Pauli „dem Druck nicht mehr standhalten konnte“ (Trulsen).
Suat Türkers Kopfballtor zum 2:3 (71.) gab das Signal zu einer Aufholjagd, deren glückliches Ende trotz der Vehemenz, mit der die Kickers das gegnerische Tor berannten, zunächst mehr als ungewiss war. Türker hatte zwei weitere Großchancen, verfehlte aber jeweils das Tor (75./81.). Binnen drei Minuten drehten die Offenbacher dann jedoch die Partie und sorgten dafür, dass der Bieberer Berg zum Tollhaus wurde. Erst war Thomas Wörle nach einem Patzer von St. Paulis Schlussmann Patrik Borger zur Stelle und schoss zum 3:3 ein (84.), dann brachte Ricardo Sousa mit seinem Schlenzer zum 4:3 den OF C gar in Führung. Dass der bereits verwarnte Spielmacher beim anschließenden Jubellauf sein Trikot auszog und dafür die Gelb-Rote Karte sah (siehe nebenstehenden Bericht), erschwerte die Sicherung des Vorsprungs zwar noch einmal. Aber der OFC schaffte es und landete einen „Sieg, den wir allemal gebraucht haben“, so Vizepräsident Thomas Kalt. Einen scheinbar aussichtslosen Rückstand umbiegen, das war so recht nach dem Geschmack der Offenbacher Fan-Seele, erinnerte es doch an vergangene Zeiten, als das öfter vorkam. „Es ist ein Stück Mythos Bieberer Berg zurückgekehrt“, sagte Kalt pathetisch.
Dass Rechtsverteidiger Christian Müller (Muskelverletzung) früh ausgeschieden war, Sichones Mitwirken in Mainz fraglich ist und Judt (fünfte Gelbe Karte) sowie Sousa am nächsten Wochenende fehlen werden, waren Wermutstropfen. Aber die emotionale Wirkung des Sieges dominierte eindeutig an diesem 2. März 2008.